Widerstandskämpfer zwischen Kühlschrank und Computer

Widerstandskämpfer zwischen Kühlschrank und ComputerZittau, 6. Mai 2020. Von Thomas Beier. Gestern berichtete der Weißwasseraner Anzeiger über Traute Lafrenz-Page, die als letzte Überlebende der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" ihren 101. Geburtstag erlebte. Im Nazireich Widerstand zu leisten, war lebensgefährlich, im realen SED-Sozialismus der "DDR", der darauffolgenden Diktatur, war Widerstand zumindest höchst gefährlich für das bisschen Freiheit, das man hatte. Heute zeigen sich Widerstandskämpfer, die ohne jedes persönliche Risiko versuchen, die Freiheit zu demontieren – indem sie vorgeben, Grundrechte schützen zu wollen. Sie arbeiten den Feinden der Demokratie in die Hand.

Was man sieht, ist nicht nur eine Frage des Standpunktes, sondern auch der Wahrnehmungsfähigkeit, die wiederum großenteils auf Vorbildung beruht. So ist der Goethekopf am 471 Meter hohen Großen Stein bei Spitzkunnersdorf für den einen nur ein Fels, für den anderen eben der Dichterfürst, der vielleicht gerade ein Nickerchen macht
Archivbild: © Zittauer Anzeiger
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Schnell zurück zu Wachstum und Konsum?

Schnell zurück zu Wachstum und Konsum?
Steigt man dem Spitzkunnersdorfer Goethe auf den Kopf, bietet sich ein grandioser Ausblick bis hin zum 1.012 Meter hohen Jeschken (Ještěd)
Archivbild: © Zittauer Anzeiger

Thema: Corona-Pandemie

Corona-Pandemie

Die Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) verlaufen pandemisch. Lebensgefahr besteht bei einer Erkrankung an Covid-19 vor allem für Immungeschwächte und Ältere. Vielfältige Maßnahmen sollen die Ausbreitung verlangsamen, um medizinische Kapazitäten nicht zu überlasten sowie Zeit zur Entwicklung eines Medikamentes und eines Impfstoffs zu gewinnen. Im Blickpunkt stehen auch die Wirtschaft und soziale Auswirkungen.

Irgendwann kommt jeder in das Alter, in dem man angesichts des bevorstehenden Restlebens Bilanz zieht über den vergangenen, nicht mehr zu korrigierenden Lebensabschnitt. Das Coronavirus war ein triftiger Anlass dafür. Soll's das jetzt schon gewesen sein? Wie weit ist man gekommen auf dem Weg zum erträumten beruflichen Erfolg? Hat man den Traummann oder die Traumfrau unter die Haube bekommen? Wie steht es um das gesellschaftliche Ansehen? Welche Spur hat man gezogen, was bleibt?

Es liegt in der Natur des Menschen, dass er für Misserfolge unbedingt den Ausgleich des Erfolgs benötigt, vor allem Anerkennung aus Sicht der anderen und beim Blick in den Spiegel. Scheint das Spiel auf den bisherigen Kampfplätzen des Lebens verloren, dann muss ein neuer Kampfplatz her, am besten einer, der Beachtung liefert und die Sicherheit von Gleichgesinnten bietet. Und Gleichgesinnte sind im Internet immer zu finden, ganz gleich, wes Geistes Kind man ist.

Heute, während der vorsorglichen (und erfolgreichen) Antiepidemie-Maßnahmen angesichts der Bedrohung durch sich verbreitende SARS-CoV-2-Infektionen und steigende Zahlen von an Covid-19 Erkrankten, sind oder waren Leute für Wochen zur Untätigkeit im Beruf verbannt. Statt die Zeit produktiv zu nutzen (leider haben es die meisten Menschen verlernt, sich selbst zu beschäftigen) ist es dann bequem und für schlichte Gemüter sogar aufregend, sich Verschwörungstheorien hinzugeben und auf dieser Grundlage Leute anzugreifen, die sich ihrer Verantwortung in einer neuen, kaum planbaren Situation stellen.

Nun mag es einem Teil der Bevölkerung – über viele Jahre geschult durch Reality-Soaps und Computerspiele – durchaus schwerfallen, zwischen wissenschaftlich anerkannten Fakten, begründeten Annahmen und wirren Fantasien, die nicht einmal das Niveau einer Theorie erreichen, zu unterscheiden. Verfolgt man Diskussionen in den sozialen Netzwerken, steht man ratlos vor dem Grundschulniveau, auf dem diese oft ablaufen: Wie soll man argumentieren, wenn dem anderen das kleine Einmaleins ausreicht, um Politik, Gesellschaft und die Welt insgesamt zu erklären?

Das Präventionsparadoxon

Verwerflich wird es aber, wenn Mitbürger sich wider besseren Wissens dazu hergeben, bloße Tatsachenbehauptungen weiter zu zementieren und zu verbreiten. Die Instrumente dazu sind einfach, aber nicht für jeden durchschaubar: Da werden Zweifel durch in Fragestellungen eingebettete Behauptungen genährt, da werden Texte aus Wahrheiten, Halbwahrheiten und Lügen so lange zusammengequirlt, bis sich eine scheinbar in sich logische Masse ergibt. Verkauft wird das Genörgel und Gequengel als Widerstand gegen "die da oben". Das ist, als würden Kinder im Supermarkt gegen die Kassiererin protestieren, weil Mutti an ihre Zähnchen denkt und ihnen keine Süßigkeiten kauft.

Ist es nicht erstaunlich, wie viele bislang unentdeckte Virologen, Gesellschaftstheoretiker, Politikwissenschaftler, Verfassungsrechtler und Medienexperten auf einmal unter uns sind und versuchen, etwas, was sie als ihre Meinung bezeichnen, unters Volk zu bringen? Manche dieser Neuentdeckungen rufen nun gar zu Demonstrationen auf und meinen, sie gehörten nun zu den Engagierten, die der Corona-Pandemie entgegentreten – ach nein, sie wollen ja nur gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie demonstrieren. Präventionsparadoxon nennt das der Virologe Prof. Christian Drosten, Leiter des Instituts für Virologie an der Berliner Charité: Weil die Präventionsmaßnahmen wirksam sind meinen viele, diese seien übertrieben oder ganz unnötig.

Peinlich wird es, wenn sogar Unternehmerverbände wie der Landestourismusverband, dessen Mitgliedern berufsbedingt Begriffe wie Strategie und Risikomanagement nicht fremd sei sollten, eine "klare Schrittfolge für den Neustart" und einen "konkreten Fahrplan" fordern. Aus Sicht der lahmgelegten Tourismuswirtschaft ist das verständlich, aber es konterkariert zugleich die der jeweiligen Situation angepasste und verantwortungsbewusste Schritt-für-Schritt-Vorgehensweise bei den Lockerungen der pandemiebedingten Einschränkungen.

Vorwärts, Kameraden, wir marschieren zurück?

Manchmal möcht' man verweifeln, wenn man den Drang zur Rückkehr nach nicht bewährten Verhältnissen sieht: Ein Kaufprämie für Autos, wo doch in den Ballungsgebieten der Trend weg vom Privatgefährt führt. Besser wären Prämien für ökologisches Wirtschaften, für Nachhaltigkeit und Weiternutzung. Aber da kann man weit ausholen – von der vermeintlichen Normalität des Flugs in den Urlaub bis zum Schild an der B6 bei Görlitz, auf dem man einen Bauernprotest lesen kann: "Sie säen nicht, sie ernten nicht – und doch wissen sie alles besser!" Ja, liebe Bauern, das ist wie auf dem Bau: Der Architekt rührt den Mörtel nicht an, er mauert nicht, doch er weiß vom Bauwerk sehr vieles besser als der Maurer.

Wenn wir aus der Coronapandemie etwas lernen können, dann die Tatsache, dass die ungehemmte Entwicklung von Globalisierung und Konsum immer bedrohlichere Risiken birgt. Jetzt ist Zeit reif für eine breitere Diskussion des notwendigen Wandels der Arbeitswelt, aus technologischer, sozialer und ökologischer Sicht. Wenn jedoch am Erfolgsmodell der konsumabhängigen Wirtschaft festgehalten werden soll und Kaufprämien für Produkte, für die zu wenig Bedarf besteht, erwogen werden, dann läuft etwas gewaltig schief und das Amt für Preise feiert fröhliche Urständ.

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  • Quelle: Thomas Beier | Fotos: © Zittauer Anzeiger
  • Erstellt am 06.05.2020 - 01:02Uhr | Zuletzt geändert am 06.05.2020 - 09:07Uhr
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