Zulieferindustrie im Wandel

Zulieferindustrie im WandelZittau, 14. Oktober 2021. Von Thomas Beier. Dass der Wandel – und damit der Strukturwandel – keine Eintagsfliege ist, weiß jeder, der mit Wirtschaft zu tun hat. Nur führen die Realitäten der Gegenwart, von der Coronapandemie bis zum Klimawandel, und die ergriffenen Gegenmaßnahmen zu einem stark beschleunigten Wandel, der von vielen als Umbruch verstanden wird. Schon ist es in Mode gekommen, regelrecht inflationär von "disruptiven Prozessen" zu sprechen.

Abb. oben: Im Dezember 2006, als dieses Bild von der künftigen Kreuzungsanlage der B178n mit der B99 am Industrie- und Gewerbegebiet in der Zittauer Weinau entstand, sollte es noch ein knappes Jahr bis zur Fertigstellung dauern. Heute verbindet die Trasse insbesondere die Gewerbegebiete in Oberseifersdorf und in der Weinau mit Reichenberg (Liberec) und weiter
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Fokus auf die Arbeitnehmer und ihre Familien

Fokus auf die Arbeitnehmer und ihre Familien
Der Blick über Zittau und das Tagebaugebiet des Kraftwerks Turów bis zu den Ausläufern der Sudeten zeigt eine Region, die nach dem weitgehenden Verlust der großen Betriebe der Textilindustrie und des ROBUR-Fahrzeugbaus stolz auf ihre mittelständische Wirtschaft sein kann
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So mancher, der ein neues Produkt oder einen neuen Prozess lancieren möchte, unterstreicht dessen Bedeutung damit, dass es disruptiv einen ganzen Markt umkrempeln wird. Aber das ist – wenn es klappt – immer noch besser als Innovationsmanager, die eher einen Mangel an Innovationen managen müssen und deshalb jeden neuen Toilettenpapierrollenhalter als Innovation verkaufen möchten.

Aber bleiben wir bei dem, was die Unternehmen und damit die Arbeitnehmer und ihre Familien in der Oberlausitz und besonders am Wirtschaftsstandort Zittau wirklich beschäftigt. Da geht es zunächst um den Arbeitsplatz, ganz egal, ob er nun eher gut oder eben weniger gut bezahlt ist oder ob die Arbeit nun Spaß macht oder eher eine Qual ist. Auch in der Region Zittau, das ist der Süden des Landkreises Görlitz, gibt es eine ganze Reihe von Zulieferbetrieben für die Autoindustrie. Diese sind hocheffizient, schon, um dem ständigen Kostendruck begegnen zu können. Wer nun etwa für Verbrennungsmotore, Getriebe oder etwa das Abgassystem zuliefert, kommt in die Bredouille, wenn die Autobauer zunehmend auf Elektroantrieb setzen: Unterm Strich werden ganz einfach weniger Teile gebraucht, manche Baugruppen entfallen ganz. Wollen diese Betriebe weiterhin für Beschäftigung sorgen, müssen sie in neue Märkte einsteigen, etwa die Lkw- oder Busproduktion. Allerdings existieren dort nicht die Massenmärkte der Pkw-Produktion, außerdem sind die Tage des herkömmlichen Verbrennungsmotors auch dort längst nicht mehr sicher.

Die Sicht der Verbraucher

Aus Verbrauchersicht gibt es einen weiteren Effekt: Der gegenwärtige Inflationsschub erscheint vielen, wenn auch zu unrecht, politikverschuldet. Der gewünschte Effekt der Drosselung der Kohlendioxidemissionen hätte sich durch den aktuellen Anstieg der Preise der Energieträger von ganz allein eingestellt, nun aber sorgt die Kohlendioxidabgabe für eine überproportionale Belastung der Verbraucher. Wer mal mit einem Schornsteinfeger oder Schornsteinbauer spricht: Als Reaktion werden vermehrt Feststoffheizungen für Einzelräume eingebaut. Auch wenn dort nur Holz unterm Strich klimaneutral verbrannt werden sollte sollte – im Sinne des Klima- und Umweltschutzes kann das nicht sein. Die Verbraucher vor diesem Hintergrund weiter mit restriktiven Vorgaben zu überziehen, dürfte auf wenig Gegenliebe stoßen. Wer’s nicht glaubt sollte mit jemandem sprechen, der seinen alten Kachelofen plötzlich nicht mehr beheizen darf. Ja, wer heizt denn noch mit einem Kachelofen? Das sind entweder Leute, die sich eine moderne Heizung nie leisten konnten oder solche, die ihren Kachelofen aus Spaß und Freude behalten haben.

Die Diskussion geht also in die Richtung, welche Klima- und Umweltschutzmaßnahmen angemessen und wirkungsvoll sind. Dass bei vielen der Eindruck entstanden ist, die Inflation sei politisch angeheizt, weil "die da oben" angeblich jeden Bezug zur Lebenswirklichkeit verloren haben, lässt sich an den Ergebnissen zur jüngsten Bundestagswahl ablesen: Viele haben jene gewählt, die auch keine Lösung haben, aber aus Sicht des Wählers wenigstens "dagegen" sind.

Im Netzwerk der Zulieferindustrie

Ehemals oder noch immer industriell geprägte Regionen kommen gar nicht umhin, auch im Wandel auf die Zulieferindustrie als Teil des Wirtschaftsmix zu setzen. So hat etwa das Erzgebirge, das regelmäßig mit der Oberlausitz um das geringste Lohnniveau konkurriert, bezogen auf die Einwohnerzahl die höchste Industriedichte in Sachsen. Diese auszudünnen, käme wie auch in der Oberlausitz einer sozialen Katastrophe gleich.

Doch nicht nur die Autoindustrie ist betroffen, ein weiteres Beispiel ist die Pharmaindustrie. Eine klassische "Pillenfabrik" ist einer Pkw-Produktion durchaus vergleichbar, nur: Während die Autoherstellung meist auf einer Ebene, aber stets in der Horizontalen erfolgt, beginnt die traditionelle Tablettenproduktion unterm Dachboden. Hier werden – vereinfacht gesagt – die Ausgangsstoffe bereitgestellt, abgewogen und fallen beziehungsweise rutschen durch Rohre und Schläuche zu den Mischern auf der Etage darunter. Das gemischte Pulver gelangt dann wiederum eine Etage tiefer zu den Rotationsmaschinen, in denen die Pillen gepresst werden. Noch ein Stockwerk tiefer wird dann geblistert und verpackt, in der Großserienfertigung selbstverständlich weitestgehend automatisiert.

Natürlich ist die Technologie abhängig davon, ob granuliert werden muss, ob Kapseln oder beschichtete Tabletten hergestellt werden sollen oder vielleicht Mehrschicht-Tabletten. Neue Fertigungsverfahren sind im Kommen, so etwa der 3-D-Druck von Tabletten, was für kleinere Chargen interessant sein dürfte. Ebenso etabliert sich neben der herkömmlichen Chargen-Produktion die kontinuierliche Arzneimittelfertigung auf kompakten Anlagen.

Auch hier in der Pharmaindustrie gibt es ein – wenn auch nicht ganz so dichtes – Netz von Rohstofflieferanten. Außerdem übernehmen Lohnhersteller alle Fertigungsschritte bis hin zur Konfektionierung von Arzneimitteln. Vielleicht ist das der einzige wesentliche Unterschied zu Autoindustrie, in der die großen Hersteller darauf achten, wenigstens noch das Endprodukt zusammenzuschrauben und zu -schweißen.

Veränderungen rechtzeitig einleiten

Fakt ist: Branchenunabhängig müssen sich Zulieferbetriebe mit den technologischen Veränderungen bei ihren Abnehmern rechtzeitig auseinandersetzen und diese oft gewissermaßen vorahnen. Zu den Veränderungen bei Zulieferern kann zudem gehören, selbst zu einer höheren Fertigungstiefe zu gelangen, etwa durch die Herstellung von Baugruppen, Endprodukten oder durch Lohnfertigung.

Zulieferbetriebe sind gut beraten, in Abständen ihr Leistungsspektrum auf den Prüfstand zu stellen und zu überlegen, welche Prozesse an die bestehenden Angegliedert werden können. Typische Prozessabschnitte dabei sind:
    • Produktentwicklung und Produktanpassung
    • Simulation oder Test von Produkten
    • Fertigung und Qualitätskontrolle
    • Separierung oder Abfüllung und Verpackung
    • Etikettierung und Versandkonfektionierung
    • Lagerung und Versandlogistik
    • aktive Kundenbetreuung und Support

Natürlich geht es auch erst einmal weiter, wenn man sich damit nicht beschäftigt. Doch in einer hochvernetzten und komplexen Wirtschaftswelt sind flexible Organisationen, die immer auf dem Sprung und veränderungsbereit sind, die Sieger, hingegen jene, die am liebsten den Status quo festzurren möchten oder darauf warten, welche Anforderungen Kunden stellen werden, die Verlierer.

Eine flexible Organisation im Unternehmen erzeugt man übrigens nicht von heut’ auf morgen. Das ist regelmäßig ein mehrjähriger Prozess, dem sich die höchsten Führungsebenen in den Betrieben stellen müssen.

Der Autor berät und trainiert seit 1994 Geschäftsleitungen und Führungskräfte in Unternehmen und anderen Organisationen, um diese in der Mitarbeiterführung effizienter und insgesamt zukunftsrobust zu machen.

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  • Erstellt am 14.10.2021 - 16:48Uhr | Zuletzt geändert am 02.12.2022 - 18:24Uhr
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