Nachruf an den Sommer (2)
Madrid | Zittau. Semesterferien sind zum Faulenzen da? Nein, entweder man hat mehrere Hausarbeiten zu verfassen oder reist den alten Freunden hinterher, die seit dem Abitur quer durch alle Lande verstreut wohnen. Studentin Romy Ebert hat sich für eine dritte Variante entschieden: Aktivurlaub in der spanischen Hauptstadt Madrid. Eine Reportage über das Bekannte in der ungewohnten Fremde.
Tag 2: Gedenken und Feiern in Madrid - alles wie immer und doch nicht normal
Driiiing. Mein zum Wecker umfunktioniertes Handy reißt mich und meine Mitbewohner aus dem Schlaf. Im Raum ist es stockdunkel, obwohl die Rollläden vor unserem Balkonfenster keineswegs heruntergelassen sind. Wieder blicke ich aus dem dunklen Fenster und wieder auf die Zeitanzeige meines Mobiltelefons. Warte ab. 7.30 Uhr, 7.36 Uhr, 7.42 Uhr. Zeitig, um rechtzeitig zu meinem Tagesausflug in die Sierra de Gaudarama, im Norden Madrids aufzubrechen. Aber doch nicht so früh, um diese Finsternis zu rechtfertigen. Geht denn in Spanien die Sonne so viel später auf oder liegt es an den hohen Häusern, die ein durchkommen der Sonnenstrahlen bis am späten Vormittag verhindern?
Keine hundert Meter von meinem Hostel RC Miguel Angel liegt ein Gebäude der größten spanischen Kaufhauskette El Corte Inglès (Der kurze Engländer). Statt kleinen Briten treffe ich aber rund um das Haus unzählige Bettler, die am Kaufhauseingang darauf warten, dass ihnen endlich jemand die Zeitung in ihren Händen gegen Geld abnimmt. Das typische Bild eines Großstadttreffpunktes. Nicht weit daneben stehen die Handlanger der Restaurants, Spelunken und Fastfood-Ketten der Stadt, die mit Flyern und Rabatten auf ihr Etablissement aufmerksam machen wollen. Rund herum tobt das Stadtleben. Nur in den Gebäuden herrscht anhaltende Stille. Für einen Moment hebt sich der Rollladen des El corte Inglés und ein junger Geschäftsmann tritt vor die Tür, während er energisch in ein Headset bläkt. Das Rollo senkt sich wieder. Denn das acht Etagen hohe Shoppingcenter öffnet erst um zehn Uhr morgens, bleibt aber bis in die Nacht geöffnet. Erst wenn die Häuser in Lichtermeeren schwimmen, die jungen Stadtbewohner auf den zahlreichen Plätzen zusammengerottet feiern und sich selbst die bunt abgesteckten Spielplätze mitten auf den betonierten Innenstadtstraßen füllen, beginnt das wahre Leben in Madrid. So schön das für mich Nachtschwärmer klingt: es bedeutet zunächst, dass ich hungrig zu meiner Bergwanderung starte. Auf dem Weg zur Metro erhasche ich wenigstens noch einen Starbucks-Kaffee - auch wenn ich meinen für Spanier ungewöhnlichen Namen selber auf den Kaffeebecher schreiben muss.
Bis zur kleinen Bergstadt San Lorenzo el Escorial sind es fast 50 Kilometer. Seit einer halben Stunde tuckert mein Bus über die schnurgerade Madrider Autobahn, die mich gen Norden führt. Zumindest habe ich für die Reise nicht extra bezahlen müssen. Ein Ticket, direkt für Touristen, trägt mich fünf Tage lang für nur 30 Euro durch ganz Madrid und seinen Touristenzielen in der Umgebung.
Endlos ziehen an mir dicht gedrängte Firmengebäude vorbei. Ich habe keine Ahnung, ob dieses Industriegebiet noch zu Madrid gehört oder ob ich längst in einer anderen Stadt gelandet bin. Viel wichtiger sind mir die alten Bekannten, die an meinem Fenster vorüber ziehen. Ein DHL-Postwagen, ein LIDL und ein ALDI, Kodak, BMW, Allianz - ich treffe sie alle auf meinem Weg in die Berge. Hat die deutsche Industrie etwa Spanien übernommen? Je höher unser Bus die Sierra de Gaudarrama befährt und immer mehr dichte Nadelwälder den Straßenrand säumen könnte man fast im Zittauer Gebirge gelandet sein. Nur die selten hinter Häusern hervorlugenden Palmen stören das Bild.
Kleine Städte mit großen Sehenswürdigkeiten
Mein Ziel San Lorenzo el Escorial ist ein gemütliches, gepflegtes Städtchen. Knapp 16.000 Einwohner bestücken die Stadt, aber der wirkliche Schmuck ist der größte Renaissancebau der Welt das Real Sitio de San Lorenzo el Escorial: ein gewaltiges Klostergebäude mit teuer ausgestatteten Räumen, mit Schmuck und Gold und Samt. Fünf Fußminuten entfernt liegt eine der typischen spanischen Grünanlagen. Und doch ist sie lange nicht so gewöhnlich wie die Parks und Gärten in Madrid. Quietschgelb stechen zwischen den niedrigen Bäumchen Fitnessgeräte hervor, die für jeden Touristen oder Einheimischen zum öffentlichen Workout genutzt werden können. Ich schwinge kurz auf den Geräten umher, dann komme ich mir beobachtet vor. Ich sehe sonst niemanden an den Sportgeräten üben und so häufig ich in Spanien noch so einem Park begegne, grundsätzlich sind sie leer. Vielleicht eine weitere Tätigkeit, die die Spanier erst ab Mitternacht betreiben.
Aber ich will oder muss weiter, um zu der beeindruckenden Basilika im Valle de los Caìdos (Tal der Gefallenen) zu gelangen, die von einem 150 m hohen Kreuz auf dem Berggipfel Risco de la Nava gekrönt wird und an den spanischen Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 erinnern soll. Ich trete also an die Touristikinformation in San Lorenzo el Escorial und erfrage in meinem gepflegtem Schulenglisch, wann der nächste Bus fährt und wie viel er mich kosten wird. Die Frau hinter der Plastikscheibe des Schalters deutet wortkarg auf einen an der Scheibe klebenden A4-Zettel, der mir nicht wirklich weiterhilft. Ich teste an ihr also noch die Bröckchen Spanisch, die mir bekannt sind und ihre Miene hellt sich auf, wird beinahe freundlich. Sie zeigt auf ihren Tisch und ruft begeistert „Aqui!“ was so viel bedeutet, dass ich das Busticket bei ihr kaufen kann. Dass die Kellnerinnen in Madrider Spelunken kein Englisch können verwundert mich schon nicht mehr, aber an einer Tourismusinformation?! Man kann es auch kompliziert machen.
Als ich schließlich im Tal der Gefallen angekommen bin, weiß ich warum sich der Aufwand gelohnt hat. Natürlich ist die Basilika, die gleichzeitig die längste Kirche der Welt ist und deren Kuppel sich stolze 42 Meter in den Bergbauch wölbt, wahnsinnig interessant. Immerhin wurde daran ganze 18 Jahre lang gebaut. Fackeln flackern und beflecken die überlebensgroßen Statuen mit Lichttropfen. In der Mitte thront ein goldener Jesus unter den Malereien von Engeln, Gott und der Apokalypse des Johannes. Und die weinenden Männer in der Kirchenbänken bewegen mich. Aber dass sie Stätte nicht zum Dokumentationszentrum des Franco-Systems, sondern zu einem Franco-Monument gestaltet wurde zeigt auch, dass die Aufarbeitung der deutschen NS-Vergangenheit ein bedeutendes Stück weiter ist – auch wenn es mir manchmal gar zu viel des Guten erscheint.
Der weite Ausblick vom ebenen Aufmarschplatz am Berg ist genial. Nur zu dem Kreuz am Gipfel kommt man nicht ohne sein Leben zu riskieren. Die Seilbahn am Hang sieht nicht nur verrostet aus, sie ist es auch, denn am Eingang prangt ein Zettel „Wegen Renovierung außer Betrieb.“
Die Stadt lebt - Stadtfest ohne Vorwarnung
Zurück in der Stadt. Menschen drängen sich in der Metro. Junge Mädchen in kurzen Röcken und langen Stiefeln, Jungs Fußballtrikot und mit gegelten Haaren. Es ist Samstagabend in Madrid. Noch weit vor dem Stadtzentrum strömen die zumeist männlichen Urbahn-Fahrer aus dem Untergrund. Neugierig folge ich ihnen und lande am Fußballstadtion Santiago Bernabéu, dem Stadion von Real Madrid. Die ganze Seite des riesigen Betonklotzes entlang wartet in braven Zweierreihen eine Menschenschlange.Ein Fußballspiel um 22 Uhr nachts scheint selbst mir Fußballlaie etwas ungewöhnlich, also kämpfe ich mich um zwei Ecken und zwei Stadionseiten zum Beginn der Schlange und der Wahrheit über den Anstehgrund. Dort hängen ein paar Tänzerinnen kopfüber an einer Leinwand und bewegen Arme und Beine synchron zu Elektrobeats. Ihnen gegenüber stemmt ein Regisseur die Hand in der Hüfte und macht sich vor der Kamera immer größer. Die Menschenschlange ignoriert sie aber alle und klopft lieber lautstark an ein Eingangstor des Fußballstadions.Ich frage den jungen Mann an sechster Stelle in der Schlange in hölzernem Englisch was denn los sei. Er antwortet hastig und mit glänzenden Augen. Es gibt eine Nachtführung durch den Bau, denn es sei das weltberühmte Stadtfest Noche en Blanco (von dem ich noch nie gehört habe). Und vor einer Stunde sollten schon die Pforten öffnen, aber nichts geschah
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Die Menge wird unruhig. Ich dränge mich an der Absperrung vorbei und schleuse mich quasi selbst in die Fangemeinde ein. Den Spaß darf ich mir doch nicht entgehen lassen. Eine kräftige Spanierin mit ebenso kräftigem Muttermal an der Wange aber unpassend kleiner Tochter an der Hand trommelt mir auf die Schulter. Schimpft mich aus. Zerrt die Tochter weiter nach vorn. Und ich zucke mit dem unschuldigsten Lächeln mit den Schultern. No Comprendo.
Die Stadiontür öffnet schließlich und ich kämpfe mich durch die Schleuse ins Stadion. Die Meute drückt und schiebt. Das beleuchtete Stadion ist da wesentlich uninteressanter. Für die Fans scheint es aber das größte der Welt zu sein, auf den extra geöffneten Trainerbänken Platz zu nehmen oder sich mit beiden Ellbogen durch die anderen Besucher zu wühlen. In Madrid macht man das vielleicht so. Erst am Morgen war ich stirnrunzelnd stehengeblieben, als die geordnete Schlange vor einem neuen Buchladen bis in die nächsten zwei Straßen reichte. Ich schätze wir Deutschen sind da zu ungeduldig. Oder zumindest ich.
Die ganze Stadt tobt. Musik, Licht, Menschenmassen. In den Parks tümmeln sich Jugendliche und trinken Bier, genauso wie in Deutschland. Am Plaza de Espaňa wippen die Köpfe zu DJ-Sounds. Das Scratchen der Vinylplatten dröhnt über den Platz. Luftballons und Kameras an jeder Ecke der Straßen, die Menschen sind ein nicht abreißender Fluss durch die Stadt. Ein Straßenmusiker. Ein Tänzerpaar. Lichteffekte. Nicht vergleichbar mit einem deutschen Stadtfest, wo an jeder Ecke Fressbuden und Schmuckstände aufwarten. Allein die vollen Straßen treiben die Festbesucher bereits in die Euphorie und nicht die kaufbaren Kleinigkeiten. Ich stattdessen schlürfe mit schweren Beinen von der Bergtour durch die Gassen.. Nehme den kürzesten Weg zum Hostel und in mein Jugendherbergsbett. Nur mit dem Schlafen wird es schwierig - bei dem Lärm.
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- Quelle: /Romy Ebert | Fotos: /Romy Ebert
- Erstellt am 17.10.2009 - 22:52Uhr | Zuletzt geändert am 17.10.2009 - 23:24Uhr
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