Pianist und Panzerkreuzer

Zittau, 5. Dezember 2015. Von Thomas Beier. Nein, nicht der August Förster wurde gequält, sondern - weil das Gerät ein wenig betagt - der Pianist: Chris Jarret (USA). So geschehen gestern Abend im Kronenkino Zittau.

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Stummfilm plus Livemusik ist Emotion pur

Der Landkreis Görlitz hat seine hidden places, wo Kultur abseits der vergewerkschafteten Hochkultur blüht - allerdings mit einem deutlichen Süd-Nord-Gefälle, will sagen: Zittau hat was. Vermutlich hat Zittau die blühendste Kneipenszene in diesem östlichsten deutschen Landkreis und Zittau hat die Hillersche Villa als wirklich bemerkenswertes Soziokulturelles Zentrum.

Diese Hillersche Villa betreibt in Zittau etliches, so auch das Kronenkino. Ausgerechnet hier, im ältesten Tonfilmkino Deutschlands (nicht sterilsaniert, wunderschön!), spielte Chris Jarrett live seine Musik zum sowjetischen Filmklassiker (Regie: Sergej Eisenstein) "Panzerkreuzer Potemkin", einem Stummfilm. Für alle, die die Ungnade der Geburt nach 1978 oder zu weit westlich ereilt hat: Das schwimmende Eisenteil spricht sich nicht etwa "Pohtemmkin", wie uns der Ansager im Kronenkino suggerieren wollte, sondern (ungefähr) "Patjomkin" oder exakt: pʌtˈjɔmkin.

Aber darum ging es nicht, sondern um die Kraft der Bilder und jene der Musik, die an diesem Abend wetteiferten. Ach, der alte Eisenstein, der im Zweiten Weltkrieg zum ausgesprochenen Deutschenhasser mutierte, hatte, als der Film im Jahr 1925 gedreht wurde, noch die Verbrüderung der revolutionären Matrosen im Sinn. Entsprechend geht die Story gut aus, die angerückte zaristische Armada lässt die Potemkin unter Jubel passieren.

Nach dem Konzert erweist sich der 1956 in Pennsylvania geborene Chris Jarrett im Gespräch als Kenner der Materie, wie die Geschichte wirklich gelaufen ist: Die Potemkin wurde selbstverständlich zusammengeballert und versenkt. An einer Stelle muss Jarrett grinsen: "Einige haben dennoch überlebt. EIner von ihnen hat später in Australien ein Restaurant gegründet."

Der Film ist das eine, die Musik das andere

Wer zum Film Audio-Begleitgesäusel erwartet hatte, wurde überrumpelt. Jarretts geniale Partitur begleitet nicht nur, sondern kommentiert den Film. Fast unerträglich die Pause, als die Schiffe ihre Geschütze ausrichten.

Überhaupt: Jarrett folgt nicht Eisensteins Agitation, sondern koloriert, kommentiert, interpretiert. Wer will sagen, wer den Eindruck bestimmt: Film oder Musik? Jarrett brachte den Flügel als großen Bruder des Pianoforte auf Forte dynamischster Art, dazu zum Allegro assai, stets im Dialog mit den Bildern, das hämmernde an die Tür klopfen der Revolution im Bass.

Gelernt habe ich an diesem Zittauer Abend, weshalb die Macher des aussterbenden Stummfilm-Zeitalters sich gegen den aufkommenden Tonfilm so sehr wehrten. Das war keine Frage der Technologie, sondern der beim Zuschauer erzeugten Emotionen: Das kann der Stummfilm mit seiner darstellerischen Kraft der Bilder in Kombination mit der Universalsprache Musik weit besser als das Wort.

Mehr:

Über Chris Jarretts Musik zu Panzerkreuzer Potemkin

P.S.:
Sorry für die schlechte Bildqualität. Ich wollte zum Filmkonzert und hatte ganz bewusst die Kamera zu Hause gelassen. So etwas sollte man nicht tun.
Und danke Chris Jarrett für das freundliche Signieren der CD's.

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  • Quelle: Thomas Beier | Fotos: © Zittauer Anzeiger
  • Erstellt am 04.12.2015 - 22:51Uhr | Zuletzt geändert am 05.12.2015 - 00:10Uhr
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