Ich sage dir, wer du bist!

Ich sage dir, wer du bist!Zittau, 13. Januar 2023. Von Thomas Beier. In vielen Situationen möchte man gern genauer wissen, wie der andere tickt: Bei einer Verhandlung, beim Gespräch mit dem Vorgesetzten, mit Kollegen oder Mitarbeitern, im Verein, wenn man jemanden kennenlernt oder wenn es darum geht, die politischen Anführer, ihre Absichten und ihr künftiges Verhalten einzuschätzen. Voraussetzung ist, sich selbst recht genau zu kennen.

Abb.: Um die Vielfalt der menschlichen Persönlichkeit zu beschreiben, reichen Farben nicht aus
Foto: Alexandr Ivanov, Pixabay License
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Wie man andere Persönlichkeiten schnell einschätzen kann

Aus Sicht der Wissenschaft ist da viel möglich, allerdings ist von verbreiteten "Persönlichkeitstests" und "Typenindikatoren" abzuraten, weil sie oft veraltet sind oder nur ein Abklatsch hochwertiger Verfahren. Immer wieder werden die Facetten einer Persönlichkeit nur sehr ungenügend erfasst und außerdem die Widersprüche, die einer Person innewohnen, nicht berücksichtigt. Hinzu kommen Einflüsse, die sich aus Situationen und der Wechselwirkung mit anderen Personen ergeben.

Einfacher und auch für Laien anwendbar ist es, bestimmte Alltagsindikatoren heranzuziehen und bei deren Bewertung auf sein Gespür und seine Lebenserfahrung zu vertrauen.

Wie man sich beim Essen outet

In einem letzten Lebensjahr veröffentlichte der französische Gourmet, Gastrosoph, Schriftsteller und Richter Jean-Anthelme Brillat-Savarin (1755–1826) seinen berühmten Aphorismus "Sag mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist". Zweifelsohne kann man ein Stück weit Rückschlüsse auf Bildung und sonstige Lebensumstände ziehen, wenn sich jemand vorzugsweise von Convenience Food oder gar Fast Food ernährt, ebenso – als das andere Extrem – bei einer ausgesprochen gesundheitsbewussten Ernährung.

Noch bedeutsamer, wenn man sich ein Bild über einzelne Zeitgenossen und -genossinnen machen möchte, sind die Tischsitten. Das beginnt mit der Art, wie das Besteck angefasst und gehandhabt wird und setzt sich über die Etikette bei Tisch fort.

Darüber hinaus verschaffen Stilfragen im alltäglichen Umgang miteinander schnell ein Bild über andere – übrigens auch dann, wenn höfliches Benehmen abgelehnt wird. Im Kern geht es um wohltuenden Rituale, bei denen man sich in Standardsituationen darauf verlassen kann, wie sich die Beteiligten verhalten. Leider kann man sich oft genug nur darauf verlassen, dass eine falsch verstandene Höflichkeit an den Tag gelegt wird – aber das ist ein anderes Thema.

Sage mir, was du liest!

Ein weiterer Indikator sind die literarischen oder musikalischen Vorlieben des anderen. Die zu prüfen war in der "DDR" regelrecht notwendig: Bei neuen Bekanntschaften wollte man schon wissen, ob jemand dem linken SED-Regime nahestand oder gar Stasi-Zuträger war. Also lenkte man das Gespräch auf Musik und Literatur: Hatte der andere vielleicht Hesse, Kafka, Camus oder Sartre gelesen? Wenn ja, war das ein gutes Zeichen: Immerhin konnte man für das Lesen dieser weltberühmten Schriftsteller noch bis in die späten 1960er Jahre angeklagt werden.

In einem Fall, bei dem in der "DDR" ein Student verknackt wurde, musste der Richter erst bei einem Literaturinstitut anfragen, weil er die Schriftsteller selbst nicht kannte. Das Institut gab dann seine Stellungnahme entsprechend der sozialistischen Ideologie ab. Treppenwitz der Geschichte: In der Gefängnisbibliothek konnte sich der Verurteilte einige der Bücher, die zu seiner Verurteilung beigetragen hatten, ausleihen – der sozialistische Staat hatte seine Kulturpolitik ein wenig gelockert.

Auch heute findet man im Bücherregal sympathischer Leute oft die gleichen Bücher, die man selbst gelesen hat oder besitzt. Allerdings werden die etwas größeren Büchersammlungen seltener, was vor allem eine Folge teurer Mietwohnungen ist und gerade Jüngere wollen in Bezug auf den Wohnort flexibel bleiben und sich nicht mit Besitz belasten.

Wie wohnst du?

Natürlich muss man immer alle Umstände beachten, aber wie jemand seine Wohnung einrichtet, erzählt ebenfalls Bände über die Persönlichkeit. Ist alles funktional und bis auf den letzten Zentimeter ausgenutzt, wie es ein schwedisches Möbelhaus nahelegt, oder sind gebrauchte Massivholzmöbel oder gar Stilmöbel kombiniert? Ist die Wohnung urgemütlich oder wird das Wohnen zelebriert?

Kann man die Wohnung nicht betreten, reicht oftmals ein Blick auf die Gardinen: Dominieren Rüschen- oder Raffgardinen? Sind lediglich einfache Rollos angebracht worden oder hat jemand hochwertige Faltstores aus Plissee verwenden können? Wohlgemerkt: Es geht nicht um ein Werturteil, wer sich was leisten kann, sondern um die Frage, ob sich jemand passend zu seiner Persönlichkeit eingerichtet hat. Möbel, Gardinen und weitere Merkmale erzählen nun einmal davon, ob jemand eher gemütlich und zu Harmonie neigend oder klar und praktisch veranlagt ist – oder unbedingt auch beim Wohnen einen Vorsprung vor anderen unter dem Motto "Ich kann besser, ich habe besser!" zeigen möchte.

Last not least: die Kleidung

Die Äußerlichkeiten eines Menschen – ob er gepflegt ist, wie er sich kleidet, letztendlich wie er spricht und sich bewegt – sorgen für den ersten Eindruck und bedienen damit positive oder negativer Vorurteile. Es gibt die sogenannten Blender, die stark auf ihre Erscheinung setzen, und auch das Gegenteil, nämlich kluge und wohlhabende Leute, denen ihre Kleidung ziemlich egal ist. Bestimmte Kleidungen erzählen aber viel über ihren Träger, vom Punk bis zu grauen Maus – und natürlich kann man sich über seine Erscheinung inszenieren, wozu natürlich Grips die Voraussetzung ist..

Wovor man sich hüten sollte

Selbstkenntnis und die Kenntnis darüber, wie andere Menschen ticken, wo sie ihre Prioritäten, ihre Stärken und ihre Risikofaktoren haben, das sind spannende Themen. Vermeiden sollte man aber, seine Zeitgenossen in Schubladen einzuteilen oder ihnen ihre Eigenheiten auf den Kopf zuzusagen: Man würde stets auf Gegenwehr stoßen und überhaupt sollte man keinesfalls Hobbydiagnosen erstellen.

Die bessere Kenntnis seiner selbst und der anderen hilft aber bei einem konfliktärmeren und toleranteren Umgang miteinander, weil man den Hintergrund von Verhaltensweisen besser versteht und sich sagen kann: "Du Ärmster, du kannst auch nicht aus deiner Haut!" Außerdem ermöglicht eine gute Menschenkenntnis, anderen – wo es möglich ist – die passenden Rahmenbedingungen für Wohlbefinden und Leistungsentfaltung zu geben.

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  • Quelle: Thomas Beier | Foto: whitedaemon / Alexandr Ivanov, Pixabay License
  • Erstellt am 13.01.2023 - 16:24Uhr | Zuletzt geändert am 13.01.2023 - 17:19Uhr
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